Medienmitteilung vom 14. November 2019
«Das Milizsystem im Thurgau ist intakt»
Das Milizsystem ist eine wichtige Säule der schweizerischen Demokratie, doch es gerät zunehmend unter Druck. Reformansätze haben Fachleute am TKB Kommunalforum präsentiert.
«Unser demokratisches System lebt von der Miliz», eröffnete Remo Lobsiger, Mitglied der TKB-Geschäftsleitung, das diesjährige Kommunalforum. Rund 100 Vertreterinnen und Vertreter von Gemeinde- und Schulbehörden besuchten die Vorabendveranstaltung am 12. November im Casino Frauenfeld, die sich in über 20 Jahren als Plattform für den Dialog und für den Erfahrungsaustausch etabliert hat.
Zentrale Säule und Alleinstellungsmerkmal
Die hohe Bedeutung des Milizsystems für die schweizerische Demokratie war unter den Referenten unbestritten. Das Milizsystem gehöre zur Staatsidee der Schweiz, sagte Andreas Müller. Der selbständige Politikberater ist Projektleiter des vom Schweizerischen Gemeindeverband ausgerufenen «Jahr der Milizarbeit». Sie beruhe auf der republikanischen Vorstellung, dass jeder dazu befähigte Bürger neben- oder ehrenamtlich öffentliche Ämter und Aufgaben zu übernehmen habe. Diese Arbeit, die hierzulande von rund 100 000 Menschen geleistet werde, steht laut Müller zu Unrecht im Schatten der direkten Demokratie oder des Föderalismus. Professor Markus Freitag, Direktor am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bern, teilt diese Einschätzung. Er würdigte das Milizwesen als zentrale Säule der Schweizer Beteiligungsdemokratie, als Alleinstellungsmerkmal und als «Gold-Standard» der politischen Beteiligung.
Reformen unerlässlich
Doch Ideal und Wirklichkeit klafften auseinander, waren sich die beiden Fachleute einig. Zwar stehe die Bevölkerung hinter dem Milizsystem, sie beteilige sich aber immer weniger. Das System sei vielerorts in der Krise, eine Reformdebatte sei deshalb unerlässlich, betonte Freitag. Höhere Entschädigungen in Form von Jahrespauschalen, klare und strategische Arbeitsaufträge, Wohnsitzbindung, arbeitsmarktrelevante Zertifizierungen oder den Einbezug von Ausländern nannte der Professor als Ansätze. Müller indes warnte vor vermeintlichen Lösungen. Bei Reformen sei eine versteckte Folklorisierung von Milizämtern zu vermeiden. Behörden sollten nicht «verberuflicht» werden, sonst verlören sie ihren Milizstatus, und die Professionalisierung dürfe auch nicht zu Berufsparlamenten führen. Gleichzeitig brauche es verbesserte Voraussetzungen für Miliztätige, ebenso Innovationen bei den Rekrutierungsverfahren.
Entschädigung und Ausbildung
«Das Milizsystem im Thurgau ist intakt», nahm Kurt Baumann als Grossratspräsident und Präsident des Verbands Thurgauer Gemeinden eine Standortbestimmung vor. Die Mischung von Behördenmitgliedern in Milizfunktion und einem vollamtlichen Präsidium etwa habe sich in den Gemeinden durchaus bewährt. Allerdings sei die Milizarbeit anspruchsvoller geworden, und das verlange nach Anpassungen. Die Gemeinde Sirnach, die Baumann seit 20 Jahren präsidiert, habe vor sieben Jahren das im Kanton Thurgau noch wenig verbreitete Geschäftsleitungsmodell eingeführt. Dieses Modell, das eine strikte Trennung zwischen operativer und strategischer Tätigkeit vorsieht, führe zu einer zeitlichen Entlastung der Milizbehörde, stelle aber höhere Anforderungen an das Rollenverständnis der Behördenmitglieder und der Verwaltungskader. Darüber hinaus plädierte Baumann für eine angemessene Entschädigung der Milizbehörden und ein austariertes Entschädigungssystem. Unterstützung in Form von Aus- und Weiterbildungen leiste der Thurgauer Gemeindeverband bereits, «doch vielleicht müssen wir in diesem Bereich zur Stärkung des Milizsystems in Zukunft noch mehr tun», sagte der langjährige Gemeindepolitiker.
Bild 1) Referenten und Gastgeber (von links): Professor Markus Freitag, Politikberater Andreas Müller, Grossratspräsident Kurt Baumann, TKB-Geschäftsleitungsmitglied Remo Lobsiger.
Bild 2) Markus Freitag, Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Bern, referiert am Kommunalforum der TKB zur Zukunft des Schweizer Milizsystems.